Ein Thema, das nicht nur im Zusammenhang mit Hochbegabung volkswirtschaftlich gesehen interessant ist

Über Unterforderung im Berufsleben liest man selten etwas. Nicht nur Hochbegabte trifft es, aber gerade wir leiden besonders, wenn wir im falschen beruflichen System arretieren. Eine Weiterentwicklung hin zu einer adäquaten Tätigkeit gestaltet sich für uns oft schwierig und das nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen. Und: hätten wir früher von unserer Veranlagung erfahren, wäre es natürlich gar nicht erst soweit gekommen …

Über eine Unterforderung ungeförderter hochbegabter Schüler, die in der Konsequenz oft unter schlechten Zensuren und/ oder Krankheitssymptomen leiden, konnte man in den letzten Jahren regelmäßig lesen. Über unterforderte Erwachsene, die in ihrem Berufsleben ihr Potenzial nicht abrufen können, wird kaum berichtet. Analog zu den Problemen der Kinder und Jugendlichen kann ein hochbegabter Erwachsener in einem unpassenden Berufsumfeld natürlich ebenfalls unter extrem negativen Auswirkungen auf seine Psyche leiden.

Thematisiert er seinen Zustand, trifft er bei Vorgesetzten immer noch zu oft auf mangelhafte Aufklärung, Vorurteile und deshalb fehlende Unterstützung. Es ist, als ob es einer Art Übersetzung zwischen Betroffenen und Arbeitgebern bedürfe, um die Situation zu klären. Oft sind für Hochbegabte auch formale Kriterien
wie z.B. ein fehlender Hochschulabschluss oder ein Abschluss im falschen Fach ein Hindernis, um innerhalb seines Unternehmens an geeigneter (und damit auch für das Unternehmen strategisch spannender) Stelle eingesetzt zu werden. Ein Paradoxon. Man möchte den Kopf schütteln.

Unterforderung kann sich sehr unterschiedlich äußern. Ein hochbegabter Mitarbeiter (oft gleichzeitig auch hochsensibel) kann beispielsweise unter Angstsymptomen leiden. Er kann regelrecht Angst vor Routineaufgaben bekommen und daraus resultieren dann erhebliche Konzentrationsschwächen. Die repetitiven Arbeiten fordern ihn nicht sondern belasten ihn, der ständig neue Herausforderungen braucht um seine analytischen oder kreativen Fähigkeiten erfolgreich einsetzen zu können. Nur das macht ihn im Umkehrschluss zufrieden, bzw. lässt ein Flow-Gefühl bei ihm entstehen.

Nicht selten entwickeln Hochbegabte übertriebene und kuriose Verhaltensweisen wie z.B. Clownerien, Pedanterie, Distanzlosigkeit oder extreme Introvertiertheit. Alles, um der unerträglichen Langeweile etwas entgegen zu setzen und die hohe überschüssige Energie auszuleiten oder zu sublimieren. Das unaufgeklärte Umfeld deutet solche Auswirkungen stark unterdrückten Hochpotenzials meistens falsch. Der Betroffene wird häufig kritisch betrachtet und abgelehnt. Ohne Unterstützung kommt er aus diesem Teufelskreis nicht heraus. Und da ist sie wieder: die Analogie zu den unentdeckten und ungeförderten begabten Schülern. Die Merkmale sind vielfältig, – helfen würden sowohl bei Schülern, als auch bei Erwachsenen zunächst lösende Gespräche unter Gleichen und dann folgend eine fundierte Einzeldiagnostik bei einem erfahrenen Hochbegabungsdiagnostiker. Im Zuge dieser Testung wird auch die ganz individuelle Ausrichtung, also die spezielle Begabung des Einzelnen festgestellt.

Die Unterforderung kann zu nachhaltigen Problemen bezüglich seines Selbstwertgefühls und zu Depressionen führen, da der Hochbegabte sein volles Potenzial nicht unter Beweis stellen darf und ihm dadurch Anerkennung und Bestätigung fehlt. Zudem muss er sich täglich anpassen. Resonanzgeber findet er selten. Er versucht während jedes Anpassungsvorgangs seine Denk- und Sprechgeschwindigkeit zu drosseln, was ihn enorm anstrengt. Ein Hochbegabter ist oft nicht gern in Gesellschaft und verabscheut Oberflächlichkeiten unter Kollegen oder bei anderen Zusammenkünften. Sehr oft hilft ihm außerhalb der Arbeitszeit nur die Flucht in die Isolation um sich zu regenerieren.

Viele unterforderte Hochbegabte kommen während ihrer Tätigkeiten gar nicht auf Betriebstemperatur, laufen den ganzen Tag untertourig und leisten deutlich weniger, als ihre nicht-hb Kollegen. Sprechen sie den Sachverhalt an, stoßen sie oft auf Unverständnis. Die Hochbegabung zeigt sich ja nicht in der Form, wie es gemeinhin erwartet wird. Also nicht in der schnellen und perfekten Bewältigung von Standard- Aufgaben. Sie zeigt sich erst in den besonders herausfordernden Situationen, die für die anderen Mitarbeiter eine deutliche Überforderung darstellen. Also in einem Aufgabenbereich, zu dem der normale Mitarbeiter keinen Zugang hat. Zum Beispiel in herausragend kreativen und unkonventionellen Lösungsfindungen oder in vorausschauender Analyse möglicher Entwicklungen (um einmal mehr einen passenden Anglizismus zu bemühen: Hochbegabte sind oft starke und erfolgreiche Forecaster).

Aber wie kann man schon im Vorfeld verhindern, dass es zu Unterforderung kommt?

Meiner Meinung nach liegt der Fehler im System. Im Bildungssystem. Wie kann es sein, dass die Identifizierung hochbegabter Kinder und Jugendlicher nicht standardmäßiger Teil der Erzieher- und Lehrerausbildung ist? Noch nicht einmal eine relativ simple Aufstellung signifikant häufig auftretender Merkmale hochbegabter Kindergartenkinder oder Schüler ist grundlegender Bestandteil der Lehrinhalte. Warum hält sich hartnäckig das Vorurteil, Hochbegabte erkenne man ausschließlich an exzellenten Leistungen? Es könnten doch sicher mit Leichtigkeit Voraussetzungen dafür geschaffen werden, Lehrer so vorzubereiten, dass sie in manchen Fällen zumindest in Erwägung ziehen, es könne sich um eine verdeckte Begabung handeln. Für die zur Zeit herrschende, auf diesem Gebiet offenbar flächendeckend, fehlende Qualifikation habe ich kein Verständnis.

Manchmal liegen die Hochleistungen der Betroffenen auf Gebieten, für die es gar keine Schulfächer gibt!

Genaugenommen kann man nur mehr Aufklärung sowie am liebsten ausschließlich hochbegabte Erzieher und Lehrer für die betroffenen Kinder und Jugendlichen fordern. Alles andere gestaltet sich schwierig und führt zu einem  n u r  theoretisch adäquaten Umgang mit den 2% betroffenen Schülern (aktuell leben übrigens insgesamt 1.61 Millionen Hochbegabte in Deutschland). Das aber reicht bei weitem nicht. Diese Kinder und Jugendlichen brauchen grundsätzlich eine Betreuung, die genau auf sie zugeschnitten ist.

Für einen früh diagnostizierten Hochbegabten ergeben sich geeignete berufliche Perspektiven oft von selbst. Außerdem hat er gute Chancen bei einer Bewerbung um ein Stipendium erfolgreich zu sein. Mit der nötigen Selbstgewissheit schlägt er intuitiv Wege ein, die ihn niemals in eine Unterforderung bringen werden.

Eltern, Erzieher, Lehrer und Vorgesetzte sollten sich weiterhin umfassend mittels wissenschaftlicher Publikationen über das Thema informieren. Die Betroffenen aller Altersklassen brauchen dringend ihre sensible und verständnisvolle Unterstützung sowie ihren fachlichen und emotionalen Rückhalt, um sich in der Gesellschaft wohl zu fühlen.

7 Gedanken zu “Permanente Unterforderung Hochbegabter und ihre Folgen

  1. Ein wichtiges Thema, das unbedingt mehr in den Fokus gerückt werden sollte. Denn bei fehlender Förderung können sich Symptome wie z.B. Angststörungen und Depressionen entwickeln, an denen dann mitunter jahrelang gearbeitet wird. Die eigentliche Ursache bleibt aber bestehen und verursacht weiterhin Leid.

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  2. Danke, Sandra, für Deinen Kommentar. Im Grunde genommen müssten Ärzte auch einen möglichen Bore – out in ihr Frage – Portfolio mit aufnehmen. Ich bin zum Beispiel noch nie von einem Arzt gefragt worden, ob ich mich während meiner Tätigkeit wohl bzw. ausgelastet fühle. Da gäbe es vielleicht einige Anregungen.

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  3. Liebe Britta, zunächst einmal danke. Deine Artikel und die Tatsache, dass es sie gibt, sind Labsal für mich. Ich habe mich instinktiv zu einem Beruf durchgetastet, den es damals, als ich vor 30 Jahren durchstarten wollte noch nicht gab. Auf dem Weg dahin habe ich einige Ausbildungen absolviert, um mit der sog. Elite unseres Landes im Dialog sein zu dürfen … Doch auch auf dieser Ebene fand ich nur selten echte Intelligenz. Und noch seltener traf ich auf Resonanz im Raum der Möglichkeit. Da ist es nur selbstverständlich, dass Hochbegabte innerhalb von Unternehmen und politischen Gremien unterfordert und frustriert, weil wenig wirksam sind. Und dann noch Frau und dann noch gut aussehend … Vielleicht sollten wir Dialogforen für hochbegabte Frauen in jeder Stadt einrichten?! Was meinst Du?

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    1. Liebe Britt, vielen Dank für Deinen sehr interessanten Kommentar. Ich freue mich, dass Dir meine Inhalte gefallen. Und eigentlich ist das alles erst der Anfang, – noch bin ich einem für mich ‚falschen bzw. noch zu flachen beruflichen System‘ und musste in 2016 dort sehr viel Zeit und Energie ver(sch)wenden. Ich hätte mich gern noch mehr engagiert. – Zu Deinen Erfahrungen würde ich gern kurz Stellung nehmen. Ja, im letzten Jahr dachte auch ich, ich könnte mit meinem Potenzial in der Politik etwas bewegen. Das Ergebnis war niederschmetternd. Zwar fanden sie mich inhaltlich sehr gut, aber um dort zu bestehen, hätte mein Konkurrenzverhalten wesentlich ausgeprägter sein müssen. Und dann stand ich mit meinen fore-caster Fähigkeiten allein auf weiter Flur. Die anderen konnten/wollten mir nicht folgen. Wie Du es beschrieben hast. Also zog ich mich wieder zurück. Die zweite Ernüchterung kam, als ich ehrenamliches Mitglied im Presseteam eines bekannten deutschen Hochbegabtenvereins wurde. Auch dort wollte ich etwas bewegen. Mein Zuarbeiten nahm man gern. Ich wollte mehr. Zwei männliche Vorgesetzte wollten das offensichtlich nicht unterstützen. Also beschloss ich, diesen Blog zu beginnen und um mit meinen spezifischen Fähigkeiten konkret etwas anzufangen, Bücher zu schreiben. Das ist der Stand der Dinge. – Liebe Britt, die Idee, sich als weibliche Hochbegabte zusammen zu finden, finde ich sehr gut. Es gibt auch schon einige weitere Interessentinnen. Wenn man bedenkt, dass der Gesellschaft so viel Potenzial vorenthalten wird a. durch mangelnde Aufklärung der Lehrkräfte und b. oft durch Nichtbeachtung/Diskriminierung Hochbegabter, dann besteht ganz klar Handlungsbedarf. Wir sollten etwas tun! Viele herzliche Grüße, Britta

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      1. Liebe Britta, liebe Britt,
        ich kann euch nur zustimmen in allem ,was ihr schreibt.
        Ein Dialogforum ist eine super Idee und sollte verfolgt werden.
        Viele Grüße Andrea

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      2. Liebe Andrea,
        viel zu viele Hoch- und Höchstbegabte fühlen sich in ihrem Leben nicht wohl und wissen nicht, woran es liegt. Wenn man nicht gerade mathematisch hochbegabt ist, fällt man schulisch durch das Raster. Ich wünsche mir mehr Aufklärung. Danke für Deinen Kommentar.
        Liebe Grüße, Britta

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