Auf den optimalen Augenblick kann ich jetzt nicht warten …
Natürlich will ich als Hb (gängige Abkürzung) nur optimale Texte abliefern, – allumfassend und dem entsprechend, was man von uns nun mal erwartet. Das allerdings lässt meine zeitliche Auslastung aktuell nicht zu. Also habe ich mich entschlossen, à la Tagebucheintrag, eine für uns typische kleine Situation zu reporten.
Gestern Abend: Norwegischkurs/ Norskkurs und ich sitze zwischen ca. 10 anderen Teilnehmern. Es kam zu einer eher machbaren Übersetzungsaufgabe. Gar nicht schwer und schon 30 Mal fehlerfrei erledigt. Nur gestern ging es nicht. Zumindest nicht auf Anhieb. Mitleidige Blicke zielten auf mich.
Ich verkniff mir jegliche Kommentare und dachte, wie so oft, wenn Ihr wüsstet (es folgt der Satire-Teil ;):
habe gerade noch im Auto, obwohl zeitlich schon ein bisschen knapp, die beiden Hör- und Sprachverständnisaufgaben ins Arbeitsbuch geschrieben, denn nur dort gibt es noch den vorsintflutlichen CD-Player, den wir dafür brauchen, – bevor ich losfuhr hatte ich noch schnell das geplante Kleid gesucht, gefunden und rausgefischt aus dem Koffer den ich mit in Rio hatte (diese Zeitverschiebung macht mich immer so langsam) woher ich gestern kam bevor ich die Mail an Dr. Hartmann, Lehrbeauftragten der Uni Frankfurt wegen Friedrich, die an Lisa/Suse/Max und die an Johanna geschrieben hatte. Letztere notiert immer so schön für mich mit, wenn ich bei Italienisch für Fortgeschrittene wichtigen Stoff verpasse, was regelmäßig der Fall ist. Ich habe Frisches eingekauft und selbstverständlich schonend gegart und nach Anfragen beim Fitnessstudio, der Hochschule für Darstellende Kunst und einem Elektriker habe ich mich noch bei Friedrichs Privatlehrer eingeloggt und Termine besprochen, die Wäsche sortiert und wegen Hotels in Grasse im Netz recherchiert, bei der Autovermietung einen Transporter reserviert und natürlich mit meinem Sohn die aktuellen politischen Ereignisse angerissen (das klingt so harmlos), trotz Komplettübermüdung.
Zwischendurch mache ich mir non-stopp Gedanken um all die wunderbaren Menschen, mit denen ich auf dem letzten ‚Arbeitsausflug‘ die Gelegenheit hatte zusammenarbeiten zu dürfen. Die zum Teil sehr tief gehenden Gespräche, die Emotionen, die dahinter stecken und die Geschichten gehen mir immer sehr nah. Manchmal vermeide ich es sogar, mich in den freien Stunden mit ihnen zu treffen, weil ich schon weiß, wie sehr mich ihre Schicksale berühren würden. Und habe ich dafür freie Kanäle? Eigentlich nicht. Es sind viele hoch Begabte unter ihnen. Interessant und charakterlich exzellent.
Zurück zu Norwegisch. Ich bin also nicht immer ein Hochleister. Unmöglich. Es ist einfach unmöglich, nach dieser Überdosis Informationen die ganzen anderthalb Stunden fehlerfrei zu absolvieren. Aber sollte ich deshalb auf Sprachunterricht verzichten? Auf gar keinen Fall!
Schließlich werde ich im nächsten Jahr viel Zeit in Norwegen verbringen. Es muss also sein. Ich will mich dort vernünftig unterhalten können.
Und was hat das alles jetzt mit dem Thema Hochbegabung zu tun?
Nein, wir sind nicht alle ständig Hochleister. Oft ist das Gegenteil der Fall und an diese typischen mitleidigen Blicke habe ich mich früh gewöhnt. Zu meiner Schulzeit war es noch viel schlimmer. Damals, als ich die Aufgaben der Lehrer nicht richtig verstand, oder fehlinterpretierte, weil sie mir zu einfach erschienen. Und als die Vielen um mich herum meine Antworten komisch, vollkommen verrückt oder äußerst dumm fanden. Ja sogar das und weitere Respektlosigkeiten. Vielleicht hatte ich mich auch schon damals intensiver für die mir wesentlich erscheinenden Fragen des Lebens interessiert. Mehr, als für die meiner Meinung nach fragwürdigen Lehrstoffinhalte.
Aber diese Einschätzungen anderer hatte ich lange verinnerlicht und darunter gelitten. Ich konnte mich nicht erklären. So lange nicht, bis ich von meiner Veranlagung erfuhr. Heute nähme ich mir wahrscheinlich nicht einmal die Zeit, um mit genau diesen Personen zu sprechen. Solche Begegnungen plus die damit verbundenen Gesprächsinhalte wären für mich schlicht nicht interessant genug.
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